Immer wieder werde ich gefragt, was ist das, eine gottgeweihte Jungfrau?
Im Folgenden will ich versuchen, darauf eine Antwort zu geben:
Dem Wesen nach ist die Jungfrauenweihe etwas Leises. Sie ist die erste Form des gottgeweihten Lebens, denn bereits in urchristlicher Zeit gab es Frauen, die sich in der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches“ willen, ganz Gott weihten. Sie gelobten in einem öffentlichen Gottesdienst, um Christi willen freiwillig und für immer als gottgeweihte Jungfrauen zu leben. Damals wie heute beinhaltet das Leben einer gottgeweihten Jungfrau ein Leben in der Welt (also nicht im Kloster), aber dennoch ganz für Gott: feste Stunden des Gebetes, intensive Beschäftigung mit dem Wort Gottes und besonders Werke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit.
Das Zentrale war und ist jedoch nicht die Weihe des Leibes, sondern die Weihe aller Sinne und des ganzen Herzens, ja der ganzen Existenz an den Herrn.
In den ersten Jahrhunderten des Christentums lebten die Jungfrauen allein und verborgen in ihrer Familie. Äussere Zeichen waren Schleier, Ring und oft der Wechsel der Kleidung in eine ärmliche Tunika. Das Leben wurde damals für alleinstehende Frauen immer schwieriger und deshalb schlossen sich die gottgeweihten Jungfrauen mehr und mehr zusammen und lebten dann in Klöstern.
Seit dem 10. Jahrhundert gab es die Jungfrauenweihe nur noch in klausurierten Klöstern.
Nach dem II. Vatikanischen Konzil (1970) wagte die Kirche wieder neu, diese Weihe Frauen zu spenden, die ganz in der Welt leben.
Das Wesen der Jungfrauenweihe in der heutigen Zeit
Die Lebensform einer virgo consecrata ist eine Einzelberufung und als solche ein spezifisches Charisma.
Die Jungfrauenweihe ist kein nur liturgischer Akt, sondern zugleich die Aufnahme in einen Stand (ordo virginum), also auch ein „rechtlicher“ Vorgang. Integrale Bestandteile des Ritus sind das öffentliche ewige Gelübde und die liturgische consecratio, wodurch die Kirche den Entschluss zu dieser Lebensform durch die Hand des Bischofs annimmt. Durch die Weihe, die ordentlicher Weise der Ortsbischof spendet, in Ausnahmesituationen kann er auch einen Stellvertreter beauftragen, wird die jungfräuliche Bindung und Lebenshingabe an Jesus Christus von der Kirche öffentlich angenommen und bestätigt.
Zuvor hat die Kandidatin diese Berufung bereits einige Jahre gelebt. Die Weihe steht nicht am Anfang dieses geistlichen Weges, sondern bildet dessen Mitte. Sie betrifft nicht primär das Tun, sondern das Sein des Menschen in seinem Zeugnis und seiner Gegenwart. Aus einem privaten jungfräulichen Leben wird ein öffentlicher Lebensvollzug der Kirche.
Die Virgo weiht sich dem Herrn, indem sie ihre Hände in die des Bischofs legt und dabei die Worte spricht: In ihre Hände, lieber Vater, lege ich vor dem Volk Gottes meinen Entschluss. Ich verspreche mit Gottes Hilfe, Christus im Stand der Jungfräulichkeit nachzufolgen.
Die gottgeweihte Jungfrau lebt von nun an in einem öffentlichen kirchlichen Stand, im ordo virginum, und gehört zur jeweiligen Ortskirche. Dieser Stand ist nicht auf das Amt hingeordnet, sondern primär auf die persönliche Heiligkeit der Empfängerin.
Sie versucht in ihrer Beziehung zu Jesus Christus in ihrem Leben und Dienst die jungfräuliche Braut „Kirche“ zu wiederspiegeln. Dies im vollen Bewusstsein, dass dieses Leben reine Gnadengabe ist.
Das Versprechen der ausschliesslichen Zugehörigkeit zum Herrn, das von der Kirche offiziell angenommen wurde, ist auf ewig.
Deshalb fragt der Bischof zu Beginn der Weihehandlung:
„Sind Sie bereit, am Vorsatz der heiligen Jungfräulichkeit festzuhalten und dem Herrn und seiner Kirche zu dienen bis zum Ende ihres Lebens?“
Eine weitere Frage lautet: „Sind Sie bereit, die Jungfrauenweihe zu empfangen und sich unserem Herrn Jesus Christus, dem Sohn Gottes, auf immer zu verbinden?“
Die Virgo antwortet: „Ich bin bereit.“
Die Berufung der gottgeweihten Jungfrau wird von jeder Einzelnen auf ihre eigene Weise gelebt. Gottgeweihte Jungfrauen leben in der Welt und geben durch ihr Leben Zeugnis für Christus. Es gibt geweihte Jungfrauen in allen Berufen, von der Pfarrköchin bis zur Universitätsprofessorin. Es gibt geweihte Jungfrauen, die einen Schleier tragen oder eine Tunika mit Schleier, es gibt geweihte Jungfrauen in Bluejeans. Weltweit gibt es etwa 3000 gottgeweihte Jungfrauen, Tendenz steigend.
Allen geweihten Jungfrauen gemeinsam ist die Liebe zu Jesus Christus und zur Kirche.
Geweihte Jungfrau sein, bedeutet nicht Macht auszuüben, sondern in Liebe der Kirche und dem Nächsten zu dienen. Die geweihte Jungfrau ist „Schwester in der Welt und für die Welt.“
Das Stundengebet, Betrachtung, das Leben aus der täglichen Eucharistiefeier und der häufige Empfang des Busssakramentes sind die Angelpunkte im täglichen Leben einer geweihten Jungfrau.
In dieser geistlichen Lebensform geht es in erster Linie um ein Apostolat durch Sein, entgegen aller Betriebsamkeit, entgegen allem nur verzweckten Tun im kirchlichen Dienst.
Madeleine Delbrêl, sie versuchte diese Lebensform, dazumal noch ohne Weihe, (sie starb bereits 1964) schrieb darüber wie folgt:
Gottgeweihte Jungfrauen sind…
„Leute, die in Christus keinen anderen Beruf haben als Gott ausschliesslich zu gehören, ihm verfügbar, um seinen Willen zu tun und in der Kirche und Welt das Evangelium zu leben.
Leute, deren Lebenssinn ist, das Mögliche zu tun, damit Christus ihre erste Liebe sei; damit sie lieben, was er liebt und wie er es liebt.
Leute, die immer auf dem Sprung sind,
irgendwohin und für alles, was Gott beliebt aufzubrechen.
Gottgeweihte Jungfrau sein heisst:
Zu den Leuten gehören, denen Gott genügt in einer Welt,
in der Gott oft nichts ist.
sie wollen – in dem Mass als Gott es will –
das Ärgernis des Kreuzes.
sie wollen nicht Städte erbauen;
sie selbst sind lebendige Steine im Boden,
für die wahre Stadt Gottes.
Der Mittelpunkt dieses Lebens ist…
die Gabe ihrer selbst an Gott in Jesus Christus:
ausgeliefert, dargebracht, enteignet zu sein mit all ihren Fasern:
Als Insel göttlicher Anwesenheit,
um Gott einen Ort zu sichern.
In den Finsternissen der allgemeinen Unwissenheit und Ungewissheit
Punkte der Bewusstwerdung seines Daseins zu setzen.
Erkennen, dass hier der eigentliche Akt der Erlösung geschieht:
Glauben im Namen der Welt,
hoffen für die Welt,
leiden anstelle der Welt,
beten für die Welt.